Günther Effenberger
Wienerherz, so gut, so bös

 

Eines sollte man verinnerlicht haben, will man Wien und die Wiener verstehen: Schimpfen auf Wien und auf Österreich dürfen nur die Wiener. Es gehört auf allen Ebenen zum Repertoire wienerischer Lebenseinstellung, nicht für, sondern zunächst einmal gegen etwas zu sein. „Fliehen will ich dieses Land der Erbärmlichkeit“, dichtete etwa Franz Grillparzer, der große Dramatiker in den Zeiten der Monarchie. Und dass Karl Kraus schrieb, er habe sich ein Leben lang geschämt, Österreicher zu sein, dass Helmut Qualtinger in seinem „Herrn Karl“ die Österreicher und im Besonderen die Wiener als anrüchig, charakterlos und opportunistisch dargestellt hat und Thomas Bernhard feststellte, dass in jedem Österreicher ein Massenmörder stecke – es änderte nichts daran, dass Karl Kraus auf einer österreichischen Briefmarke verewigt wurde, Bernhard am Burgtheater gespielt wird und Qualtinger den Nestroy-Ring der Stadt Wien erhielt. Hans Weigel, der berühmte Wiener Publizist, brachte es auf einen Nenner: „In Österreich sind die Klassiker Staatsfeinde gewesen. Und die Staatsfeinde wurden mit der Zeit Klassiker.“

Der Dichter Hermann Bahr hat es so ausgedrückt: „Der Wiener hasst den Wiener, aber er kann ohne den Wiener nicht leben.“ Doch ist der Wiener nur ein paar Schritte weg von Österreich, kriegt er Heimweh und ärgert sich, dass er nicht schimpfen kann über sein Wien, das er so sehr vermisst. Ein Wiener kann drei Fehler machen. Erstens: in Wien leben. Zweitens: Wien verlassen. Und drittens: wieder nach Wien zurückkehren.

Der Wiener wählt nicht die Partei seiner Überzeugung, sondern das kleinere Übel. Wobei es im Land derzeit mehrheitlich nur größere Übel gibt, schaut man sich die Parteienlandschaft und ihre Protagonisten an. Das Bemerkenswerte ist nur, dass die Österreicher oft die größeren Übel wählen, ganz freiwillig sogar. Da fällt mir wieder Thomas Bernhard ein, der einst sagte, dass 6,5 Millionen Österreicher debil seien (damals hatten wir noch weniger Einwohner). Auch zu jener Zeit, das brachte Bernhard, der bedeutendste Negativdenker der Nation, auf brillant-drastische Weise zum Ausdruck, sei „die österreichische Regierung eine Dummköpfelotterie“ gewesen, „das Volk Kleinbürger auf der Heuchelleiter, Aufwachen in Österreich heißt in Stumpfsinn und Niedertracht aufwachen.“

Österreich ist der fettleibigste Beamtenstaat der Welt, es gibt 730.000 öffentlich Bedienstete bei neun Millionen Einwohnern, ein Fall für das Guinness-Buch der Rekorde. In der EU-Hauptstadt Brüssel kommt lediglich ein Beamter auf 10.000 Bürger, in Wien sind es stolze 29. Wer im gesicherten Aquarium der Staatsschläfer etwas werden will, muss das richtige Parteibuch eingesteckt haben, Qualifikation drittrangig. Wird ein Beamter zum Sektionschef befördert, wird dessen Avancement lapidar mit der Frage beantwortet: „Wissen S‘ denn einen Besseren?“ Es gibt nur Schlechte in Wien.

Das vielgepriesene goldene Wienerherz ist gut und bös zugleich. Fragt etwa in Wien ein Fremder nach einer Straße, scharen sich sofort mehrere hilfsbereite Passanten um ihn, um zu helfen. Aber wage es niemand, einen auf diese Weise erhaltenen Rat in den Wind zu schlagen und in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Dann erwacht sofort das Weh im Wiener Herzen: „Wann i Ihnen do sag‘…ich wird’s do wissen…i bin an Hiesiger, i wü Ihna do net anschmieren…Schau i aus wie a Gauner?“ Lässt sich der Fremde dennoch nicht erweichen und geht unverzagt weiter in die falsche Richtung, hat er damit endgültig den Rubikon überschritten: „Hatsch nur weiter, du g’scherter Aff…is eh nix dran an dir…“ Wienerherz, so bös.

Andererseits: Die Wiener sind Rekordhalter im Spenden, und wer in Not ist, dem wird geholfen, spontan, ganz ohne Wenn und Aber. Nach der grausigen Terrorattacke im Zentrum der Hauptstadt öffneten Wiener ihre Wohnungstüren und ließen verängstigte Menschen bei sich übernachten. Wienerherz, so gut.

Die Wiener sind unheilbare Pessimisten, immer und überall, sogar im Belanglosen. Fragt man etwa einen Wiener Fußballfreund, wie denn das Ländermatch ausgehen würde, entfährt ihm sofort die düstere Prognose: „Die Unsern wern verlieren.“ Das tun sie zwar oft, aber durchaus nicht immer. Nichts Neues wird in Wien bejaht. Jedes neue Gebäude ist ein Schandfleck. In Wien ist ein Gebäude so lange ein Schandfleck, bis es unter Denkmalschutz gestellt wird – wie das Hochhaus in der Herrengasse. Oder abgerissen wird und durch einen anderen Schandfleck ersetzt wird – wie das Haas-Haus am Stephansplatz.

Sogar die Staatsoper, Prunkstück der Ringstraße, galt dereinst in Wiener Kreisen – in Anspielung auf die 1866 erlittene militärische Niederlage – als architektonisches Königgrätz. Nicht einmal Kaiser Franz Joseph, der sonst so Besonnene (bevor er im Alter verblödete, aber das gelingt heutigen Politikern oft schon in jüngeren Jahren), sparte mit Kritik. Architekt Eduard van der Nüll, durch eine für damalige Begriffe beispiellose Pressekampagne entnervt, erhängte sich noch vor der Eröffnung 1869, sein Partner August Sicard von Sicardsburg verstarb wenige Wochen nach van der Nülls Selbstmord an einem Herzinfarkt. Auch die Bauten der Architekten Otto Wagner und Adolf Loos wurden anfangs als hässlich abgetan, ehe sie in die Annalen unvergänglicher Baukunst eingingen. Klimt und Schiele wurden geächtet, Sigmund Freuds Thesen stießen in der Wiener Ärzteschaft auf Ablehnung. In Wien drehen alle am Rad der Zeit – aber die meisten nicht vor-, sondern rückwärts. Aufhalten können sie, beim schlechtesten Willen, den Fortschritt freilich nicht, er kommt über sie, so oder so. Gustav Mahler hat einmal gesagt: „Wenn die Welt untergeht, fahre ich nach Wien, denn dort passiert alles fünfzig Jahre später.“ Und der Sprachkünstler Alfred Polgar meinte, als er, der seinen Lebensabend in Zürich verbrachte, wieder einmal Wien besuchte: „Ich muss über diese Stadt ein vernichtendes Urteil abgeben: Wien ist Wien geblieben.“

„Zu wos brauchen mir des“, ist ein geflügelt Wort diesseits und jenseits der Donau. Erst die Bewunderung durch Fremde unterdrückt bei den Wienern das Gefühl der Minderwertigkeit und lässt das Selbstbewusstsein steigen. Das dann irgendwann sogar in Arroganz ausartet. Vor allem, wenn ein Nichthiesiger Kritik an den hiesigen Zuständen übt. „Der soll daham bleiben“, weist ihn dann der Wiener geistig sofort aus dem Land. Wienerherz, so bös. Es gibt ein untrügliches Zeichen, um hierzulande die Integration eines Ankömmlings festzustellen. Sobald er zu schimpfen anfängt, ist er ein Einheimischer geworden, schrieb einst Weigel. Ich möchte ergänzen: Und es die Wiener dulden, dass er schimpft. Dann ist er endgültig einer von uns.

 


Günther Effenberger
Klimakrise – eine fast echte TV-Diskussionsrunde

 

Diskussionsleiter*in: Claudia Fahrterer; Diskussionsteilnehmer*innen:
Loni Abwessler, Umweltminister*in; Caruso Falcao, Chefredakteur*in der Autozeitschrift »Alles im A«; Heinz-Christian Rache, freie(r) Politiker*in; Balthasar Holzwurm, Bioba(ä)uer*in aus dem Westviertel; Professor*in Dr. Dr. Irrmann, Zukunftsforscher*in

Fahrterer: Eines vorweg bitte für die Diskussion, wie immer: Kurz (alle lachen). Ich meine, halten Sie keine langen Reden! Und jetzt ins mediale res oder wie das heißt, bitte hören Sie auf zu lachen! Also: Das Auto hat bald ausgedient, es ist verantwortlich für die Klimakrise, es vernichtet Menschenleben, kostet Geld.

Abwessler: Wir Grüne haben da schon eine klare Vorstellung: Fahrverbot für Autos im Ortsgebiet, jedem Österreicher ein Gratis-Fahrrad…

Fahrterer: Gratis-Fahrrad…wie wollen Sie das aus dem Budget finanzieren?

Abwessler: Firmen können derzeit Autos steuerlich abschreiben, ein Wahnsinn eigentlich, eine Geldvergeudung der öffentlichen Hand, das würde ich sofort streichen, dann ist genug Geld da.

Fahrterer: Das würde ja auch Arbeitsplätze schaffen für eine österreichische Fahrradindustrie. Und der Benko würde das finanzieren…

Falcao: Jetzt muss ich den zweiten Gang einlegen. Also, wenn Sie, Frau Ab…wie? Abwasser? Ist egal, also wenn Sie meinen, das Auto gehört verboten, es vernichte Menschenleben, na ja, der Hitler hat mehr Menschenleben auf dem Gewissen…

Fahrterer: Lassen Sie um Himmels Willen den Hitler aus dem Spiel, der gehört nicht hierher…

Falcao: In der Zeitschrift »Profilierung« ist gestanden, dass Hitler für die Vollmotorisierung in Deutschland und Österreich verantwortlich war, und dass ich als Auto-Enthusiast mit meinen fünf italienischen Oldtimern…

Abwessler: So kommen wir nicht weiter, Herr Falaffo…

Fahrterer: Falcao! Falcao: Ist egal, Frau Abgewesser…Sorry: Abwessler natürlich!

Rache (springt auf): Ein für allemal: Es gibt keinen Hitler und keine Nazis mehr! Ich bin auch Autoliebhaber, aber dass ich als Nazi bezeichnet werden könnte, nur weil ich nicht mit dem Fahrrad fahre wie die Frau Abgessler, ist eine Unverschämtheit. Und eines möchte ich auch noch sagen: Ich bin für freie Fahrt für freie Bürger, jeder soll rasen, so schnell er möchte, und wenn er sich erschlägt, ist er selber schuld. Immer diese Bevormundungen durch die Grünen…

Fahrterer: Bleiben Sie bitte sachlich, Herr Rache! Und bitte, auch die anderen wollen zu Wort kommen. Herr Professor Irrmann, bitte!

Heinz-Christian Rache verlässt die Diskussionsrunde grußlos.

Professor Irrmann: Lassen Sie mich Folgendes sagen: Die Umwelt geht nicht allein am Auto zugrunde, sondern an der gesamten Welt. Es werden die Ressourcen ausgebeutet, und die Erderwärmung steuert der kommenden Eiszeit entgegen, die nach den Berechnungen der Universität für Weltentwicklung aus diesem Grund um zirka 200 Millionen Jahre später kommen wird. Da ist aber die Ausweitung der Wirtschaft in China und Indien noch gar nicht berücksichtigt.

Holzwurm (ratlos): Wos?

Fahrterer: Jetzt werden wir zu theoretisch, Herr Professor Irrmann. – Herr Holzwurm, Sie als Bio-Bauer haben ja eine natürliche Beziehung zur Natur. Auto – können Sie darauf verzichten?

Holzwurm: Na. Warum soll i?

Falcao: Sehen Sie, auch ein Bio-Bauer kann ohne Auto nicht auskommen.

Abwessler (zu Holzwurm): Ich hoffe aber doch, dass Sie einen Hybrid haben…

Holzwurm: Ich Gott sei Dank nicht, aber meine Frau hat einmal Hybriden gehabt, mit Kaltspülungen hat sie das weggebracht, ganz ohne Pulverl, Bio halt…

Fahrterer: Frau Abwessler meint, ob Sie ein modernes, abgasarmes Auto mit teilweisem Elektroantrieb haben oder zumindest mit Partikelfilter…

Holzwurm: Jo, ich hob an Pritschenwogen, der hat 480.000 Kilometer drauf, und ich fahr seit 32 Jahren damit. Aber bitte: Ob er einen Partikel…wos?

Falcao: Frau Abwessler, ich will jetzt nicht unter Ihre Gürtellinie zielen, aber haben Sie eigentlich außer einem Fahrrad auch ein Auto?

Abwessler: Das ist mir zu intim.

Fahrterer: Sie müssen die Frage nicht beantworten, Frau Ministerin. Im Mediengesetz ist geregelt, dass die Intimsphäre eines Menschen in jedem Fall geschützt werden muss. Aber ich denke, wir haben hier sehr viel erfahren, liebe Zuschauer und -rinnen, die Autos sind ein Problem, keine Frage, wie alles andere auch. Noch ein Schlusswort, Herr Professor Irrmann?

Professor Irrmann: Wir können den Planeten nicht vernichten, weder durch Autos noch durch Atomkraft. Wenn beispielsweise der ORF auf dem Küniglberg mit Atommüll verseucht wäre, dann könnten wir hier nicht mehr sitzen, aber unsere Forschungen haben gezeigt, dass sich unter dem Atommüll wieder atom-immune Lebewesen bilden würden, die in geschätzten 380 Millionen Jahren durchaus eine Kultur aufbauen könnten, die unserer Erde…

Stromausfall, Ende

www.allesauto.at

 

Leseprobe aus Einfach lachhaftLeseproben aus Tante Jolesch fährt Auto

„Gell’n S‘, Ihna g’fallt er a net…“ 

 

Thomas Bernhard war noch ziemlich unbekannt, sein Name war kaum auf den Kulturseiten der Zeitungen zu finden, und wenn, dann waren es nicht gerade Jubelmeldungen, die ihn umschmeichelten. Dem damaligen Burgtheaterdirektor Gerhard Klingenberg wurde vom Suhrkamp-Verlag die Uraufführung des Bernhard-Stücks „Die Jagdgesellschaft“ angeboten. Klingen­berg fand das Stück gut. Mit der Inszenierung beauftragte er Claus Peymann, und die Granden der Wiener Theaterwelt standen Kopf: „Des a no“, geiferten sie, „jetzt holt der Klingenberg auch noch den wahnsinnigen Peymann, diesen Piefke, nach Wien. Das Burgtheater ist am Ende.“
Zur Premiere lud Klingenberg den Regisseur Peymann und Thomas Bernhard in seine Loge ein. Peymann nahm die Einladung an, Bernhard aber suchte sich irgendwo im Publikum einen Platz, es kannte ihn ja niemand. Seine Nervosität steigerte sich während der Aufführung noch weiter, er wusste nicht, wie das Publikum auf das Stück reagieren würde. Zur Pause hielt er es nicht mehr aus, unerkannt schlich der Dichter zur Garderobe und holte sich seinen Lodenmantel. Die freundliche Garderobenfrau, die Bernhard natürlich ebenfalls nicht kannte, sagte, während sie ihm den Mantel gab: „Gell’n S‘, Ihna g’fallt er an net, der Scheißdreck!“

 

 

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Arschlecken per Fernschreiben 

 

…das verfängliche Gespräch mit Claus Peymann hatte André Müller geführt, er galt als einer der besten Interviewer seiner Zeit, er verführte seine Gegenüber zum Schwadronieren, ließ sie vergessen, dass da ein Tonband mitlief. An dem Tag des Peymann-Interviews wollte es der Zufall, dass der Journalist Müller ausgerechnet in dem Moment Peymanns Wiener Wohnung zum vereinbarten Gesprächstermin betrat, als dieser gerade einen Wutanfall auslebte. Der Grund: Seine Inszenierung der Shakespeare’schen Zauberkomödie »Der Sturm« war von der Kritik zerrissen worden – von »Zauberflaute« bis »bombastische Harmlosigkeit« erstreckte sich der Beurteilungskatalog deutscher und österreichischer Rezensenten. Per Fernschreiben forderte Peymann die betreffenden Kritiker auf, ihn doch gefälligst am Arsch zu lecken. Und dann kam André Müller, und das Tonband lief…

 

 

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Das wahre Gesicht 

 

Nicht jeder Journalist, so fähig er in seinem Fachgebiet auch sein mag, ist ein brillanter Schreiber. Der legendäre Hans Konitschek, Lokalreporter der »Kronen Zeitung« in den sechziger Jahren, war dank seiner exzellenten Beziehungen zur Polizei zumeist als Erster am Tatort, wenn ein Mord passierte. Wenn andere Journalisten noch auf den hochoffiziellen Polizeibericht warteten – Konitschek hatte mit Nachbarn und ermittelnden Beamten bereits ausführlich geredet, wusste oft schon, wer der Täter war und hatte seine Mordgeschichte längst zu Papier gebracht. Er war einer der bes­ten Lokalreporter des Landes. Nur eines konnte er nicht: druckreif formulieren.

Deshalb musste der diensthabende Redakteur der »Krone« Konitscheks Texte bearbeiten, bevor sie in Druck gingen. Oder besser gesagt: komplett umschreiben. Als der für diese Aufgabe abgestellte Roman Schliesser, späterer »Adabei« beim Kleinformat, einmal nicht im Haus war, setzte Konitschek nach einem besonders grässlichen Verbrechen, schreiberisch gänzlich allein gelassen, folgende Schlagzeile ins Blatt: Da blieb dem Auge des Gesetzes vor Schreck der Mund offen.

Als der Krone-Reporter einmal kurz vor Drucklegung die Meldung über ein Sexualdelikt im Überschwemmungsgebiet der Donau auf den Schreibtisch bekam, fehlten Zeit und die helfende Hand des Umschreibers. In höchster Eile diktierte Hans Konitschek folgenden Satz: Plötzlich zerrte der Unhold sein Opfer in ein Gebüsch, und dort zeigte er ihm sein wahres Gesicht.